gulag
 

 
   
 

Die Sowjetunion bildete im 20. Jahrhundert einen großflächigen Staatenverbund, ein mächtiges politisches Imperium, dessen wissenschaftliche und kulturelle Leistungen internationale Beachtung erhielten. Weniger bekannt ist jedoch die Tatsache, dass die riesige Fläche der Sowjetunion von einem Netz aus Straflagern unterschiedlichster Funktion und Größe überzogen war. Von der Westgrenze der Ukraine bis nach Ostsibirien, vom nördlichen Eismeer bis an die Grenzen Chinas saßen Menschen verschiedener Herkunft und Nationalität in Lagern ein. Die Gründe für ihre Inhaftierung waren sehr häufig politisch motiviert, teilweise geradezu absurd: antisowjetische Agitation, Spionageverdacht, „Liebedienerei“ vor dem Westen, Lobpreisung der amerikanischen Demokratie, Verwandtschaft mit einem Volksfeind usw. Unzählige Menschen wurden ebenso aufgrund ihrer Nationalität verurteilt, dies betraf auch Tausende von Deutsche.

Bereits 1918 errichteten die sowjetischen Machthaber die ersten Lager, deren Anzahl unter der Herrschaft Stalins rapide anwuchs. Erst in den Jahren 1987-1989 sind die letzten politischen Gefangenen aus Straflagern entlassen worden.

Dieses Lagersystem wird auch als GULAG bezeichnet, ausgehend von der russischen Abkürzung für Glawnoe Uprawlenije LAGerei (dt.: Hauptverwaltung der Lager). Der Begriff GULAG bezeichnet einerseits den administrativen Verwaltungsapparat und wurde andererseits in der Literatur zum Sinnbild des Zwangsarbeitssystems in seiner Gesamtheit.

Auf der Web-Site www.gulag.memorial.de und der CD-ROM „GULAG – Das Lagersystem der Sowjetunion“ veranschaulichen unterschiedliche Materialien die Komplexität des GULAG: geographisches Kartenmaterial, Texte über die Funktionsweise und Strukturen der Lager und das Häftlingsleben, Biographien von Häftlingen, Fotografien und mehr ermöglichen dem Leser unterschiedliche Einblicke in das sowjetische Repressionssystem.

Wir möchten speziell den deutschsprachigen Leser mit diesem Projekt ansprechen. Alle Materialien sind ins Deutsche übersetzt worden bzw. wurden bereits früher auf Deutsch publiziert. Ebenso wurden Aufsätze von Historikern in das Projekt aufgenommen, welche die Methoden politischer Unterdrückung in der Sowjetunion und deren Anwendung auf die Verfolgung politisch Missliebiger in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. späteren DDR erläutern. Eine große Anzahl von Deutschen war direkt von der politischen Verfolgung in der Sowjetunion betroffen. Dies gilt zum einen für viele deutsche Emigranten in der Sowjetunion sowie für Millionen Russlanddeutsche, die per Erlass des Obersten Sowjets vom 28.08.1941 in Verbannungs- und Lagerorte deportiert wurden. Es betraf ebenso auch Zehntausende Deutsche, die von Sowjetischen Militärtribunalen in ihrer großen Mehrheit aus politischen Gründen zum Tode oder zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt und häufig in die Sowjetunion deportiert wurden. Dieses Schicksal teilten Deutsche stets mit anderen Leidensgenossen. In den 1930er Jahren, während der großen "Säuberungen", fiel ein Großteil der politischen Emigranten in der Sowjetunion der Verfolgungsparanoia des Regimes zum Opfer. In den Kriegsjahren 1941-1945 setzte eine gewaltsame Binnenvölkerwanderung ein, in deren Verlauf so genannte "unzuverlässige" Völker an die Peripherie des Kriegsgeschehens in öde Verbannungsorte deportiert wurden. In den Nachkriegsjahren ab 1945 wiederum war es die politische Opposition der Ostblockstaaten, die man durch Scheinprozesse und anschließende Zwangsarbeit in sowjetischen Lagern zu unterdrücken versuchte.

Das Projekt ermöglicht Einblicke in Organisation und Lebenswelten des GULAG unter besonderer Berücksichtigung von deutschen Häftlingsschicksalen. Eine im Jahr 2004 von der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL veröffentlichte Doppel-CD-ROM bietet einen breiten Gesamtblick auf das Thema "Politische Repressionen in der Sowjetunion". Die Doppel-CD-ROM beinhaltet biografische Kurzangaben von ca. 1,3 Millionen Opfern unterschiedlicher Nationalitäten sowie zahlreiche Kartenmaterialen, Fotografien, Dokumentationen etc. in russischer Sprache.

Der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur danken wir herzlich für die finanzielle Unterstützung des Projektes (www.stiftung-aufarbeitung.de).

Wir wünschen uns, dass das Internetportal und die CD-ROM viele Leser dazu anregt, sich mit der politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen – insbesondere mit den unheilvollen Auswirkungen diktatorischer Regime auf den einzelnen Bürger sowie auf die Gesellschaft insgesamt.

 

Berlin / Moskau, Februar 2006

Irina Raschendörfer
(Projektleiterin)

Aljona Koslowa
(Archivleiterin MEMORIAL, Moskau)

Sebastian Priess
(für den Vorstand MEMORIAL Deutschland e.V.)

Elena Zhemkova
(für den Vorstand MEMORIAL International)