II
Wir sahn zuviel. Wir sind zu schwer beladen
Mit Lastern, Lügen, Wahn und Grausamkeit,
Mit allen Schrecken dieser wilden Zeit, -
Was sollen wir an friedlichen Gestaden?
Wir wissen schon zuviel von Tod und Grauen,
Nun fürchten wir uns vor den hellen Straßen.
Wir lebten unter Schatten; wir vergaßen,
Was Liebe heißt und Lächeln und Vertrauen.
Rührt uns nicht an, laßt uns vorübergehen!
Vergeßt, daß wir vor langen, langen Jahren
Lebendige und eure Freunde waren!
Wir haben zuviel Last mit uns gebracht;
Ihr würdet unsre Sprache nicht verstehen
Denn euch gehört der Tag und uns die Nacht.
III
Wir zögern noch und bleiben häufig stehen,
Wir traun noch nicht dem Wunder, das geschah;
Uns scheint, es müßte gleich wie Rauch vergehen
Und altes Grauen wäre wieder da...
Wir haben es verlernt, ins Licht zu sehen,
Wir kannten nur das Nein und nie ein Ja;
Was unsrer Sehnsuch nur im Traum geschehen,
Ist uns auf einmal so erschreckend nah,
Daß unsre Hand sich scheut, es zu erfassen,
Als könnte rascher Zugriff es zerstören,
Und wandeln in Vernichten und Verneinen;
Das Dunkel hat uns noch nicht losgelassen,
Und manchmal, wenn wir Kinder lachen hören,
Dann möchten wir beiseite gehn und weinen.
Waltraut Nicolas: Schattenland. Sonette. Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1948, S. 22/23.
(Textauszug S. Jenkner)
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