Und dann kam der erste Arbeitstag. Zum Glück schien die Sonne, aber es war bitter kalt, unter minus 30 Grad. Die Wege waren festgetretene Schneewälle. Zum Holzplatz gab es bereits eine Gehspur, auf der wir uns kaum halten konnten, da wir ja in Fünferreihen marschieren mußten. Vorne, hinten und an den Seiten wurde unsere Kolonne von Konvois bewacht, die Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett trugen. Hunde, die zum Fürchten aussahen, waren auch dabei; sie wurden gnadenlos auf jede gehetzt, die vom Weg abkam. Die Rede, die der "Natschalnik Konvoia" uns zu Beginn des Marsches gehalten hatte, verstanden wir nicht; sie drohte für alle möglichen Ungehorsamsdelikte schwerste Strafen an. Auf die Dauer hat das kaum noch jemanden beeindruckt, man gewöhnt sich an die ewige Bedrohung, und der Tod ist für viele keine Strafe mehr.
Zum ersten Mal sah ich Sibirien. Die unendliche Weite der Schneelandschaft überwältigte mich - selbst als Häftling empfand ich diesen Reiz, zumal Natur in jeder Art und Gestalt mich immer gestärkt und über mein Elend erhoben hat, selbst wenn die Zwangsarbeit über meine Kräfte ging. Diese Kraftquelle muß ich preisen, ihr verdanke ich das Überleben.
In den ersten Tagen der Fronarbeit erschöpfte ich meine Kräfte an den Naturgewalten. Selbst das Ziehen der noch leeren Schlitten durch die Schneemassen war eine große Anstrengung. Als wir das Ziel erreichten, den Stapelplatz, wo sich Berge von Baumstämmen türmten, waren wir Deutsche im Gegensatz zu den Russinnen schon völlig erschöpft. Gipsy, die einer anderen Brigade angehörte, zeigte eine bewundernswerte Geschicklichkeit. Mit einer Behendigkeit ohnegleichen erklomm sie den Stapel und mit einem Werkzeug, das aussah wie ein Speer mit Widerhaken, brachte sie die Stämme ins Rollen. Unten galt es nur, nicht unter die rollenden Stämme zu geraten. Es hat lange gedauert, bis auch ich derartige Griffe meisterte, und noch nach Jahren hatte ich, wenn das Kommando "Stapelowka" ertönte, das Bild der schönen, katzengeschmeidigen Gipsy vor meinen Augen, die so gut zu mir gewesen war.
Wir hatten viele Stunden zu arbeiten und fühlten uns wie gerädert, als es hieß, mit den geladenen und mit Seilen verschnürten Schlitten den Heimweg anzutreten. Eine fast unmenschliche Anstrengung war der lange Weg ins Lager, aber auch dieser erste Tag ging vorüber, dem noch so viele folgen sollten...
Margarete Mehlhemmer: Überleben in zwei Diktaturen. Westkreuz-Verlag Bad Münstereifel 2000, S.142/143.
(Textauszug S. Jenkner)
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