Meine liebe Mutter, meine liebe Schwester,
Ob dieser Brief jemals an euch abgeschickt wird, hängt vom Ausgang des harten Kampfes ab, den ich zur Zeit um mein Leben führen muß. Wer siegen wird - Leben oder Tod - weiß ich nicht.
Dieser Brief erreicht euch, wenn letzterer siegt. Denkt nicht, daß ich, indem ich diesen Brief schreibe, nicht normal oder erregt bin, oder nicht bereit wäre, diesen letzten Weg zu gehen, der das Leben abschließt. Tief, tief im Herzen versteckt ist der Wunsch noch zu leben; er wird aber unterdrückt von der schweren Last des gegenwärtigen Lebens, der Müdigkeit nach den vielen Jahren einsamen Lebens. Ich bin schon lange bereit, aus diesem Leben zu gehen. Schon zwei aus unserer Familie mußten in Einsamkeit ihren Lebensweg beschließen. Sehr oft denke ich darüber nach, warum denn ich ein leichteres Los haben sollte als sie.
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Ich bin ruhig, vollkommen ruhig. Den Gedanken an einen fteiwilligen Tod habe ich schon längst verdrängt. Wie sehr ich geschwächt bin, davon könnt ihr euch keinen Begriff machen, denn ihr habt nie solche Menschen gesehen. Es hat keinen Sinn, euch alles zu schreiben. Weshalb sollte ich euch vor der Zeit aufregen. Außerdem habt ihr selbst genug Schweres durchzumachen. Um alles zu begreifen, müßte man einen Blick auf mich und unser Leben werfen können.
Ich danke euch für eure Liebe und Sorge um mich und mein Kind.
Seid nicht zu traurig. In unseren Verhältnissen ist der Tod auch eine erwünschte Befreiung.
Eure Frieda
18. April 1943
(Der Brief musste nicht abgeschickt werden und blieb in den persönlichen Unterlagen der Autorin erhalten.)
Frieda Mayer-Melikowa: Ein Leben zwischen den Mühlsteinen der Politik. Selbstverlag Schorndorf 1997, nach S.42.
(Textauszug S. Jenkner)
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