biographie

 
   
 
 

Erwin

Jöris

 
 

Anfangs arbeiteten wir mit den sogenannten Stadtbrigaden in der Stadt Workuta. Dort wurde ein Kühlhaus gebaut, und ich mußte mit zwei jungen deutschen Studenten ein Loch, das man Katlewan nannte, ausheben. Wir waren alle noch sehr geschwächt von dem langen Gefängnisaufenthalt. Die russischen Häftlinge erhielten zusätzliche Verpflegung durch Pakete von zu Hause. Sie schafften ihre »Norm« besser als wir Neulinge, da wir uns seit etwa einem Jahr von Wassersuppe ernähren mußten. Wer die hochgeschraubte Norm nicht erfüllte, bekam eine viel schlechtere Verpflegung. Hinzu kam, daß wir Deutsche von den sowjetischen Aufsehern als "faschistische Huren"usw. beschimpft wurden.

...

Nach geraumer Zeit wurde ich zur Arbeit im Schacht eingeteilt. Zusammen mit meinem guten und mutigen Kameraden Peter Lange bestand ich darauf, unterwiesen zu werden, wie man im Schacht (Schachtminimum) arbeitet. Wir hatten Erfolg und saßen eine Woche auf der Schulbank.

Nach der Schulung kam ich zu einer Brigade, die sich mit dem Streckenvortrieb befaßte, einer schweren Arbeit also. Auch hier wurde man als "Faschistenschwein" beschimpft. Erstaunlicherweise entstand zwischen mir und den anderen ein gutes Verhältnis. Sie merkten letzten Endes, daß ich gar kein Kriegsgefangener war, wie sie dachten, sondern ein "Achtundfünfziger", also ein politischer Gefangener. Und als ich ihnen von meiner Tätigkeit in Moskau und der Terrorzeit berichtete, war das Eis gebrochen. Es entstand eine gute Kameradschaft. Die Arbeit im Schacht war schwer und außerdem sehr gefährlich. Man war oft 10 Stunden unter Tage. Und wenn die Norm nicht erfüllt wurde, bekam man eine entsprechend schlechtere Essensration. Besonders wir Deutschen hatten es nicht leicht...

...

Das Leben im Lager war wirklich unerträglich. Viele sagten mir: "Entweder bin ich nächstes Jahr frei, oder ich bin eine Leiche." Zur Aufmunterung sagte ich immer: "Nächstes Jahr bist du nicht frei und nicht tot, du hast dich nur mehr an diese Lage gewöhnt." Und so war es dann.

Erwin Jöris: Mein Leben als Verfolgter unter Stalin und Hitler. Selbstverlag Köln 2004, S. 156/157 und 162.

(Textauswahl: S. Jenkner)

   
 

1912

In Berlin-Lichtenberg geboren.

1928

Beitritt zur Kommunistischen Jugend.

1930

Funktionär in der Jugendorganisation der KPD.

März 1933

Verhaftung und Einlieferung in das KZ Sonnenburg (Brandenburg).

Oktober 1933

Entlassung aus dem KZ.

1934

Im Auftrag der Partei Emigration nach Moskau, dort Ernüchterung und Bruch mit der kommunistischen Weltanschauung.

August 1937

Verhaftung und Einweisung in das berüchtigte Moskauer Lubjanka-Gefängnis.

1938

Ausweisung nach Deutschland.

April 1938 - Februar 1939

In deutscher Haft.

März 1940

Einberufung in die Wehrmacht.

1941-1946

Unfreiwillige Rückkehr in die Sowjetunion als Soldat und Kriegsgefangener. Dort verschweigt er seine Kenntnis von Land und Sprache. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Rückkehr nach Berlin.

Dezember 1949

Erneute Verhaftung in Ostberlin.

1950

Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Strafverbüßung als politischer Häftling in Workuta, Schacht 9 und 10.

1955

Entlassung aus der Haft.

1995

Rehabilitierung.

2002

Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande.
Schweizer Film "Gefangener unter Hitler und Stalin" über das Schicksal von E. Jöris.

2004

Veröffentlichung Autobiographie "Mein Leben als Verfolgter unter Stalin und Hitler".

17.11.2013

Tod in Köln.

Lagerhaft in

FLUSSLAGER

     
 

Fotos, Illustrationen und Dokumente

Joeris, Erwin: Verhaftung    

Joeris, Erwin: Verhaftung

    

Die Veröffentlichung der Fotos und des Buchauszugs erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Herrn Erwin Jöris.