Ein Märztag hat begonnen. Draußen aber sehen wir nur ein dunkelgraues Wirbeln und Wogen, hören nur heulendes, jaulendes Stöhnen und Wüten, als um vier Uhr morgens der "Gong" ertönt und uns die Barackenaufseherin mit dem verhaßten "Podjom" (Aufstehen) weckt.
Unsere Brigadierin sagt: "Die Purga kommt von Südwest und ist hart. Zum Aktieren, zum arbeitsfreien Tag, wird es nicht genügen." Sie hat recht, die erforderlichen minus 36 Grad werden angeblich oder tatsächlich, wer will es entscheiden, nicht erreicht. "Wir wollen uns erst am Abend waschen", überlegen wir, "und über die wattierte Ohrenkappe noch ein Tuch binden, damit Erfrierungen möglichst vermieden werden."
Die Morgensuppe ist das reinste Wasser, der Brei angebrannt und ungenießbar.
Beim Auszählen an der Wache dauert es dann wirklich sehr lange. Der Sturm peitscht Schnee- und Eisstückchen waagerecht vorwärts, macht unsere Gesichter naß, unsere Augen tränen. Plötzlich schweigt er für Sekunden. In der Stille ist ein fernes eigentümliches Schwingen wahrnehmbar, beinahe klingt es wie Glockenläuten. Es sind Entlüftungsanlagen in den Kohleschächten. Eine Stimme sagt hinter mir in mundartlich-schwäbisch gefärbtem Deutsch: "Die Osterglocken läuten! Heute ist Ostern! Soweit haben uns diese Unmenschen gebracht, daß wir es beinahe vergaßen." Die Frau in der Reihe hinter mir ist fast gedrungen, mit rundem Gesicht, in dem jetzt ein Paar blaue Augen zornig blitzen, ganz zahnlos, obwohl sie erst die Vierzig erreicht haben mag.
Albertine Hönig: Der weite Weg oder Das Buch von Workuta. ADZ Verlag Bukarest 1995, S. 66/67.
(Textauswahl: S. Jenkner)
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