"Der Bau der Straße von Ust-Wym nach Tschibiju hatte Ende 1930 begonnen. Zahllose Gefangenentransporte verschlug es dorthin, einen nach dem anderen.
Unser Transport, der diese Straße unter verstärkter Bewachung 270 Kilometer in zwölf Stunden zurücklegte, sollte am Bau einer neuen Straße eingesetzt werden: von Tschibiju nach Krutaja, wo man Gasvorkommen entdeckt hatte. Ab 1935 hatte man eine Schneise von einigen Metern Breite dorthin verlegt. Die Fußmärsche und Transporte mit Pferden und Pferdewagen konnten diesen Weg nur mit großen Mühen passieren. Baumstümpfe und morastige Sümpfe mit schwankenden Bohlen erschwerten das Vorwärtskommen noch zusätzlich. Am 24. Kilometer, wo sich die Bauverwaltung befand, wurde ein Lagerpunkt eingerichtet: drei Baracken, ein Bad, eine Bäckerei, die Kesselanlage und das Verwaltungsgebäude. 1936 gab es noch keine Zonen mit Umzäunungen, Stacheldraht und Wachttürmen. Sie tauchten erst Anfang 1938 auf.
Uns, einige Dutzend Gefangene, schickte man zum fünften Lagerpunkt, am 48. Kilometer. Dieser bot ein ziemlich trauriges Bild. Die Menschen wurden in großen Armeezelten mit zweistöckigen Pritschen aus rohen Balken mit unzureichend abgeschlagenen Ästen untergebracht. Wir bekamen Matratzen mit etwas Stroh. Aber wegen der verfluchten Äste konnte man schlecht schlafen. Man legte noch Fichtenzweige unter, aber das half wenig.
…Im Sommer arbeiteten wir auf der Trasse 12-14 Stunden, im Winter acht. Die Arbeit war wirklich Katorga-Arbeit: Holzfällen, Roden von Baumstümpfen, Aufschütten des Damms, Abtragen des Grundes auf Schubkarren oder Tragbahren. Unsere Arbeitswerkzeuge bestanden in Schaufel, Spitzhacke und Brecheisen. Was bedeutet es für einen hungrigen, halb bekleideten Menschen, den ganzen Tag im Eiswasser zu stehen, in sumpfiger Brühe beim Ausheben von Straßengräben, beim Aufschichten klebrigen Bodens – der ständig am Spaten kleben bleibt - auf einen Damm für den Erdkörper! Oder mit der Spitzhacke oder dem Brecheisen den gefrorenen versteinerten Lehm mit bloßen Händen in Stücke zu schlagen, mit erfrierenden Fingern und blutigen Schwielen, weil es keine Handschuhe gab! Technische Hilfsmittel gab es auf der Trasse nicht.
…Frei hatte man nur an Tagen, an denen aus Witterungsgründen keine Arbeit möglich war. Für diese Katorga-Arbeit erhielten wir pro Tag ein Kilo Brot. Zu Mittag eine Schöpfkelle dünner Balanda mit wenigen Perlgraupen oder Gerstengries (nach Vorschrift 60 Gramm), dann eine Schöpfkelle dünnen Brei und ein Stückchen gesalzenen Dorsch oder eines winzigen Fischs. Abends nochmal eine Schöpfkelle derselben Balanda. Bei einer derartigen Ernährung kam ein Mensch schnell von Kräften und konnte die Norm nicht erfüllen. Der Organismus versagte, die verausgabten Kräfte konnten sich nicht regenerieren. Wenn die Norm nicht erfüllt wurde, gab es auch weniger Brot, nur noch 400 Gramm. Oder man kam in den Strafisolator für systematisches Nichterfüllen der Norm, und dort gibt es 200 Gramm. …
Ein gesunder Mensch wurde nach zwei bis drei Monaten auf der Trasse zu einem Skelett. Die Sterblichkeit war furchtbar hoch: Von einem Transport mit 500 Menschen lebten nach drei Monaten nur noch ein paar Dutzend, und diese waren völlig heruntergekommen."
Arkadij Galkin: Ljudi Uchtipečlaga (Menschen vom Uchtipetschlag). Konstantin Petrovič Gurskij. Uchta 2003. S. 25-27.
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