"Bereits in meinem Schreiben an den Generalstaatsanwalt der UdSSR, R. A. Rudenko, vom 6. März 1955 legte ich dar, dass meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin sowie die gegen mich durchgeführte ‚Untersuchung’ durch die Organe der Staatssicherheit der UdSSR und DDR und meine Verurteilung auf administrativem Wege unter Bruch jeglichen elementaren Rechts und unter gröblichster und bewusster Missachtung der Verfassungen der UdSSR und DDR erfolgten.
Ich schrieb dem Herrn Generalstaatsanwalt der UdSSR, dass die Anklage gegen mich fabriziert wurde, dass zu meiner Belastung von Staatsfunktionären der DDR und UdSSR Dokumente und Aussagen gefälscht und verfälscht wurden, dass Amtspersonen der Staatssicherheitsorgane Zeugen erpresst und zu falschen Aussagen verleitet haben und auch bei den ‚Vernehmungen’ andere verbrecherische Mittel und Methoden des psychologischen und physischen Druckes anwandten – Handlungen, die nach den Gesetzen der UdSSR wie auch der DDR unter schwerer Strafe stehen. ...
Während meiner dreijährigen ‚Vernehmungen’ in Berlin wurde mir des öfteren gesagt, dass die Anleitung zu meiner Verhaftung und zu dem ‚Verfahren’ gegen mich von Berija und Abakumow gegeben worden sei.
Berija und Abakumow sind abgeurteilt. …
Schon bei einer der ersten ‚Vernehmungen’, die Mielke persönlich gegen mich durchführte, erklärte er mir, dass er in höherem Moskauer Auftrage und mit Billigung der SED-Führung handele. Er brüstete sich, dass er ein alter Tschekist und Schüler Berijas sei, früher in der Ljubjanka gearbeitet habe und ich nicht der erste sei, den er fertig machen würde. Ja, er sprach sogar in seiner sadistischen Art davon, dass er schon mehrere liquidiert habe und dabei gewesen sei, wie Knorin, Bela Kun, Piatnitzki u. a. erledigt wurden. …
Als ich Mielke bei den ‚Verhören’ darauf hinwies, dass nach der Verfassung auf Wunsch des Verhafteten einer von ihm benannten Person innerhalb von 24 Stunden der Grund der Verhaftung mitzuteilen ist, verweigerte er eine solche Mitteilung mit den Worten: ‚Hier bestimmen wir!’...
Alle diese Drohungen, Versprechungen, Eingebungsversuche und Provokationen waren ständig mit physischem Druck und mit Quälereien verbunden.
Mielke hat seine ‚Verhöre’ in der Zeit von Ende März bis Mitte August 1950 stets nur nachts durchgeführt. Sie begannen täglich immer um 22 Uhr abends und endeten zwischen 4 und 6 Uhr morgens. Dabei musste ich bei allen ‚Verhören’ während der ganzen fünf Monate immer die ganze Nacht über stehen. Tagsüber aber durfte ich nach 6 Uhr morgens nicht mehr schlafen.
Außerdem gab es ganze Perioden von Tag- und Nacht- ‚Verhören’. Diese Perioden dauerten 8 und 10 Tage, in denen man überhaupt nicht schlafen durfte. Das ‚Verhör’ war dann von morgens um 11 Uhr bis nachmittags um ½ 5 Uhr und abends von 22 Uhr bis morgens um 6 Uhr.
Fünf Monate lang wurde ich im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen in einer Wasserzelle gehalten. Das war eine Zelle ohne Fenster und ohne jedes Möbel, auf deren Fußboden immer etwa 2 Zentimeter Wasser stand."
Brief Kurt Müllers vom 31. Mai 1956 an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl (erstmals veröffentlicht in: „Aus Politik und Zeitgeschichte“, Beilage zur Wochenzeitschrift: "Das Parlament", B 11/90, 9. März 1990, S. 16-29. Hier zitiert nach: Kurt Müller (1903-1990) zum Gedenken. Hrsg. v. Dieter Dowe, Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung. S. 55-86, bs. S. 55-57, 59, 82).
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