biographie

 
   
 
 

Nadeschda

Markowna

Ulanowskaja

 
 

"Etwa anderthalb Monate nach der Ankunft wurde ich zum operativen Mitarbeiter der Sicherheitsorgane gerufen. Als mich alle um die Wette mit Ratschlägen überschütteten, wie man im Lager leben und wovor man sich in Acht nehmen müsse, erklärte man mir in erster Linie, das Schlimmste, was einem passieren könne, sei, wenn sie anfingen, jemanden zu den Organen zu bestellen, um ihn anzuwerben. Schlimm vor allem deswegen, weil sie nicht aufgäben. Einige erzählten mir, wie sich das bei ihnen abgespielt hatte. … Hat man einmal abgelehnt, wird man wieder zitiert. … Schon im Durchgangslager hatte mir Etel Borissowna erzählt, was sie wegen ihre Verweigerung der 'Zusammenarbeit' durchstehen musste. Sie hätte ihre Haftzeit bei Lwow in der Nähe ihrer Familie absitzen können; so aber schleppte man sie durch das ganze Land … Schließlich kam sie nach Workuta, und dort ließ man sie in Ruhe, weil inzwischen allgemein bekannt war, dass sie zum Spitzel nicht taugte. … Ziemlich bald riefen sie auch mich. … Ich wurde freundlich empfangen: ‚Nehmen Sie Platz. Wie ist Ihr Urteil, und weshalb? Sie sind aus Moskau…. Sie sind doch natürlich ein Sowjetmensch? Sie haben eine lange Haftzeit, aber auch im Lager leben Menschen. …. Wir können Ihnen eine leichtere Arbeit geben:’ – Ich antwortete ihm, dass man mir während der Untersuchung vorgeworfen hätte, ich würde die Organe verleumden mit der Behauptung, sie verhafteten anständige Menschen. ‚Und Sie sagen, ich sei ein Sowjetmensch!’ … Er ließ mich gehen … Ich fühlte mich frei und war überzeugt, dass sie mir nichts tun würden. … Aber sie taten es doch – sie schickten mich mit dem nächsten Transport weg. Und ich hätte vielleicht bis zum Ende der Haft in Predschachtnaja bleiben können. So musste ich mich von den Freunden trennen. Aber auch im nächsten Lager fand ich Freunde."

"... Rosa Solomonowna saß, weil sie im Okkupationsgebiet gewesen war. Unter den Deutschen hatte sie überlebt, weil sie geheim gehalten hatte, dass sie Jüdin ist. Mit ihrer Stupsnase, dem hellen Haar und ihrem runden Gesicht war sie in deren Vorstellungen vollkommen arisch. Sie arbeitete in der Küche bei den Truppen und wusch den Deutschen die Wäsche. Sie hatte 25 Jahre bekommen, gerade weil sie in der Okkupation überlebt hatte. … In Workuta saß auch eine Ärztin, eine Jüdin, die… in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen war und überlebt hatte, weil sie sich als Aserbaidschanerin ausgegeben hatte. Sie hatte einige Jahre bei den Deutschen gesessen und fand sich dann, wie üblich, in unseren Lagern wieder."

Nadežda Ulanovskaja / Maja Ulanovskaja: Istorija odnoj sem'i. Memuary (Die Geschichte einer Familie. Memoiren). St. Petersburg 2005. S. 157-161.

   
 

1904

Geb. in Berschadi (Gouvernement Kamenez-Podolsk).

1917-1920

Umzug nach Odessa. Tritt dort der Jungen Revolutionären Internationalen bei (eine kleine Gruppe, in der Bolschewiken, linke Sozialrevolutionäre und Anarchisten vertreten waren). Heirat mit Alexander Ulanowski.

1920-1931

Arbeit u. a. in der Profintern (Internationale der Gewerkschaften). Mehrere Auslandsaufenthalte mit nachrichtendienstlichen Aufträgen mit ihrem Mann, darunter in Deutschland, China, Amerika.

1932-1941

Nach Abschluss des Fremdsprachenstudiums Lehrerin für Englisch an der Frunse-Akademie.

1941-1942

Kurzzeitige Evakuierung aus Moskau.

1942-1945

Arbeitet als Dolmetscherin für ausländische Korrespondenten (insbes. amerikanische und australische) in Moskau.

1947

Arbeit am Institut für Internationale Beziehungen als Lehrerin für Englisch. Unerwartete Entlassung aus dem Institut.

21.02.1948

Verhaftung. Untersuchungshaft in der Lubjanka. Anklage: Kontakt mit Ausländern, insbes. zu einem australischen Korrespondenten.

1948-1951

Urteil: 15 Jahre Lagerhaft. Aufenthalt in den Durchgangsgefängnissen Wologda, Workuta. Transport nach Predschachtnaja.

1951-1956

Haftverbüßung hauptsächlich in Potma. Begegnung mit Tamara Rabinowitsch und Susanna Petschuro (Mitverurteilte im Verfahren gegen die Gruppe um Sluzki, Furman und Gurjewitsch, in dem auch ihre Tochter Maja verurteilt worden war).

1956

Entlassung bei Auflösung der Lagerzone ohne Rehabilitierung.

1973

Ausreise nach Israel.

1986

Tod in Israel.

Lagerhaft in

BELOGORSKI-ITL, FLUSSLAGER, BAU 585 UND ITL

   
 

Ausgewählte
Biographien

 
 

Fotos, Illustrationen und Dokumente

Nadeschda Ulanowskaja im Lager    

Nadeschda Ulanowskaja im Lager

    

Biographie: Vera Ammer

Die Veröffentlichung der Fotos und des Buchauszugs erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Maja Ulanowskaja.