"Etwa anderthalb Monate nach der Ankunft wurde ich zum operativen Mitarbeiter der Sicherheitsorgane gerufen. Als mich alle um die Wette mit Ratschlägen überschütteten, wie man im Lager leben und wovor man sich in Acht nehmen müsse, erklärte man mir in erster Linie, das Schlimmste, was einem passieren könne, sei, wenn sie anfingen, jemanden zu den Organen zu bestellen, um ihn anzuwerben. Schlimm vor allem deswegen, weil sie nicht aufgäben. Einige erzählten mir, wie sich das bei ihnen abgespielt hatte. … Hat man einmal abgelehnt, wird man wieder zitiert. … Schon im Durchgangslager hatte mir Etel Borissowna erzählt, was sie wegen ihre Verweigerung der 'Zusammenarbeit' durchstehen musste. Sie hätte ihre Haftzeit bei Lwow in der Nähe ihrer Familie absitzen können; so aber schleppte man sie durch das ganze Land … Schließlich kam sie nach Workuta, und dort ließ man sie in Ruhe, weil inzwischen allgemein bekannt war, dass sie zum Spitzel nicht taugte. … Ziemlich bald riefen sie auch mich. … Ich wurde freundlich empfangen: ‚Nehmen Sie Platz. Wie ist Ihr Urteil, und weshalb? Sie sind aus Moskau…. Sie sind doch natürlich ein Sowjetmensch? Sie haben eine lange Haftzeit, aber auch im Lager leben Menschen. …. Wir können Ihnen eine leichtere Arbeit geben:’ – Ich antwortete ihm, dass man mir während der Untersuchung vorgeworfen hätte, ich würde die Organe verleumden mit der Behauptung, sie verhafteten anständige Menschen. ‚Und Sie sagen, ich sei ein Sowjetmensch!’ … Er ließ mich gehen … Ich fühlte mich frei und war überzeugt, dass sie mir nichts tun würden. … Aber sie taten es doch – sie schickten mich mit dem nächsten Transport weg. Und ich hätte vielleicht bis zum Ende der Haft in Predschachtnaja bleiben können. So musste ich mich von den Freunden trennen. Aber auch im nächsten Lager fand ich Freunde."
"... Rosa Solomonowna saß, weil sie im Okkupationsgebiet gewesen war. Unter den Deutschen hatte sie überlebt, weil sie geheim gehalten hatte, dass sie Jüdin ist. Mit ihrer Stupsnase, dem hellen Haar und ihrem runden Gesicht war sie in deren Vorstellungen vollkommen arisch. Sie arbeitete in der Küche bei den Truppen und wusch den Deutschen die Wäsche. Sie hatte 25 Jahre bekommen, gerade weil sie in der Okkupation überlebt hatte. … In Workuta saß auch eine Ärztin, eine Jüdin, die… in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen war und überlebt hatte, weil sie sich als Aserbaidschanerin ausgegeben hatte. Sie hatte einige Jahre bei den Deutschen gesessen und fand sich dann, wie üblich, in unseren Lagern wieder."
Nadežda Ulanovskaja / Maja Ulanovskaja: Istorija odnoj sem'i. Memuary (Die Geschichte einer Familie. Memoiren). St. Petersburg 2005. S. 157-161.
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