biographie

 
   
 
 

Peter

Bordihn

 
 

Meine Wiedereingliederung verläuft relativ normal. Ich komme zeitweilig bei einer Frau unter, die ich im letzten Zwischenlager in Gwardeisk kennengelernt hatte. Wenig später finde ich auch Arbeit: als Russisch-Dolmetscher beim Reisebüro. Bei einem dieser Einsätze komme ich dann als Begleiter einer Urlaubergruppe auch in die Sowjetunion - und lerne ein völlig anderes Land kennen. Ich begegne Menschen, die mich durch ihre Warmherzigkeit, ihre Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit ganz für sich einnehmen und die sich völlig von meinen früheren Peinigern unterscheiden. Das hat mir sehr geholfen, ein gerechtes Bild von der Sowjetunion zu bekommen, das nicht von blindem Haß geprägt ist.

Doch weder über diese neuen Erkenntnisse noch über meine bitteren Erfahrungen darf ich sprechen. Über mir liegt der Bann, bei den geringsten Äußerungen zu meiner Gefangenenzeit erneut bestraft zu werden, womöglich noch einmal in ein Lager zu müssen. Nicht einmal zu meinen besten Freunden verliere ich ein Wort, selbst meine Kinder erfahren nichts. Einzig und allein meiner Frau, die ich 1959 kennengelernt habe, vertraue ich mich an. Sie erfährt im Laufe vieler Ehejahre immer mehr Details. Ihr gegenüber läßt sich nichts verheimlichen, denn die Träume holen mich ein und schrecken mich manche Nacht schweißgebadet hoch.

In meinem weiteren beruflichen Leben - ich arbeite zeitweilig als Heizer, dann bei einer Kommunalen Wohnungsverwaltung und schließlich im Berliner Glühlampenwerk - werde ich nie nach meinem "Spezialisteneinsatz im Workutaer Kohlebergbau" gefragt. Die entsprechende Eintragung in meinen Personalunterlagen scheint allen zu genügen. Entweder sind die meisten ahnungslos oder sie ahnen sehr wohl, was sich damals zugetragen haben mag und wollen ganz bewußt nicht zuviel wissen oder gar damit belastet werden. Ich lerne mit dieser Lüge zu leben.

Nach über 35 Jahren ist es dann endlich so weit. Die Ereignisse des Novembers 1989 und die Wende zur demokratischen Erneuerung unseres Landes lassen mich die bedrückende Last abwerfen und endlich reden. Ich erkläre den Menschen meiner Umgebung, was sich in jenen Jahren tatsächlich zugetragen hat und ich wende mich an die Öffentlichkeit. Nichts will ich mehr verschweigen.

Peter Bordihn: Bittere Jahre am Polarkreis. Als Sozialdemokrat in Stalins Lagern. LinksDruck Verlag Berlin 1990, S. 122/124.

(Textauswahl: S. Jenkner)

   
 

1928

Geboren.

Nach 1945

Bei der sowjetischen Handelsvertretung in Ostberlin als Kraftfahrer tätig.

1948

Verhaftung wegen sozialdemokratischer Aktivitäten. Untersuchungshaft im MWD-Gefängnis Lichtenberg, Verurteilung per Fernurteil zehn Jahren Strafhaft im Arbeitslager.
Nach einem Zwischenaufenthalt in Sachsenhausen Deportation nach Workuta, wo er im 8.Schacht überwiegend unter Tage arbeiten musste.

Ende 1953

Amnestierung und Rückkehr nach Deutschland.
Bleibt in Ostberlin und arbeitete in verschiedenen Berufen.

1990

Publiziert seine Erinnerungen "Bittere Jahre am Polarkreis. Als Sozialdemokrat in Stalins Lagern.", in denen er auch über die Zeit nach seiner Rückkehr in die DDR berichtet.

Lagerhaft in

FLUSSLAGER

     
 

Fotos, Illustrationen und Dokumente

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