biographie

 
   
 
 

Horst

Schüler

 
 

Ist das wirklich vierzig Jahre her? Da hat sich ja kaum etwas verändert. Ich erkenne alles sofort wieder, beinahe so. als wäre ich vor ein paar Wochen noch hier gewesen. Der Förderturm, der riesige Poroda-Berg (22). das Kombinatsgebäude, die Fabrik, in der die Kohle von den Steinen getrennt wurde. Na ja, sie haben einen neuen Verwaltungstrakt angebaut, und es gibt sogar eine recht komfortable Kantine.

Außerdem hat der Schacht einen richtigen Namen bekommen. Er nennt sich längst nicht mehr Schacht 29, jetzt heißt er "Jur Schor", ein Bächlein in der Nähe ist der Namensgeber. Wahrscheinlich war diese Zahl 29 mit zuviel bitterer Vergangenheit belastet.

Doch die lässt sich ja nicht einfach mit einer Namensänderung auslöschen. Hier draußen in der Tundra, einen Steinwurf nur vom Schacht entfernt, ist diese Vergangenheit für jeden sichtbar. Ein paar schlichte Holzkreuze ragen da wie mahnende Zeigefinger aus dem Schnee. Sie tragen Nummern statt Namen, eines allerdings ist beschriftet, deutsch sogar: »Ruhe sanft in dieser kühlen Erde«, lese ich.

Jedes Kreuz steht für ein Massengrab. In der Mitte ein größeres Kreuz mit der Inschrift: "Ewige Ruhe den Toten des großen Streiks vom 1. August 1953."

Der Friedhof des einstigen Lagers. Peter erzählt mir, wie ein paar Sommer zuvor ehemalige litauische Häftlinge nach Workuta gekommen waren. Sie bargen die im Schlamm und Morast versunkenen Kreuze, stellten sie wieder auf, brachten überhaupt ein bisschen Ordnung in dieses Stück Erde, das für so viele Unglückliche die letzte Ruhestätte ist.

Horst Schüler: Workuta - Erinnerung ohne Angst. Herbig Verlagsbuchhandlung München 1993, S. 81/82. (c) 1993 by F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1993

(Textauszug S. Jenkner)

   
 

1924

In Potsdam als Sohn eines Sozialdemokraten geboren. Der Vater kommt in der NS-Zeit im KZ Sachsenhausen um.

1951

Verhaftung wegen seiner journalistischen Verbindungen nach Westberlin. Verurteilung von einem sowjetischen Militärtribunal in Potsdam zu fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit.

1951-1955

Deportation nach Workuta. Arbeitet im Kohleschacht 29, Teilnahme an dem großen Lagerstreik, der für die Häftlinge dieses Schachtlagers in einem Blutbad endete.

Herbst 1955

Nach der Rückkehr in Hamburg wieder als Journalist tätig.

1992

Besucht als erster deutscher Journalist Workuta.
Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta und der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG).

27. März 2019

Tod in Hamburg.

Lagerhaft in

FLUSSLAGER

     
 

Fotos, Illustrationen und Dokumente

Schueler, Horst    

Schueler, Horst

    

Die Veröffentlichung des Fotos und Buchauszugs erfolgt mit freundlicher Genehmigung der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung.